Historie

„Möge sie durch eifrige Förderung unserer Landwirtschaft beitragen zur Wiedergesundung der Wirtschaftsverhältnisse und zum Wiedererwachen der Treue zur heimatlichen Scholle stets in Gedenken an das Wohl unseres über alles geliebten Vaterlandes“. 
                                                                                                           (aus dem Gründungsauftrag der Landwirtschaftsschule)

Am 13. November 1922 öffnete die landwirtschaftliche Fachschule in Herrenberg ihre Türen. Zum Besuch des Winterhalbjahres 1922/23 hatten sich 52 Jungbauern entschlossen, worüber allgemeine Freude herrschte. Anlässlich des 100-jährigen Jubiläums organisieren die Studierenden der Fachschulklasse 2021-2024 im Rahmen eines Schulprojektes den feierlichen Festakt. Für eine kleine historische Ausstellung und die Festschrift waren die Studierenden auf Spurensuche. Was hat die Anfangszeit der Schule geprägt? Wie hat sie sich entwickelt und wo steht sie heute? Freuen Sie sich auf spannende Einblicke in die 100-jährige Geschichte unserer Fachschule.

100 Jahre Fachschule für Landwirtschaft in Herrenberg – eine Erfolgsgeschichte

Die Fachschule für Landwirtschaft in Herrenberg wurde in einer Zeit gegründet, die von den Hungerjahren der Kriegs- und Nachkriegszeit des Ersten Weltkrieges geprägt war. In Deutschland starben zwischen 1914 und 1918 schätzungsweise bis zu 700.000 Menschen an Hunger und Unterernährung. Der gravierende Mangel an landwirtschaftlichen Arbeitskräften, an Mineraldünger und Zugtieren ließ 1917 die Getreideernte auf die Hälfte eines normalen Ertrags sinken. 

 

Die Förderung der landwirtschaftlichen Produktion sollte der Sicherstellung der Ernährung der Bevölkerung dienen. Urbarmachung und die Steigerung der Erträge waren das Gebot der Stunde. Nahrungsmittelimporte waren nur begrenzt möglich, für diese war aufgrund der hohen Kriegsschulden kein Geld mehr da. 

 

Daher entschlossen sich engagierte Landwirte im Oberamt Herrenberg, nach Beendigung des ersten Weltkriegs, bei der Zentralstelle für Landwirtschaft (ZfdL) die Errichtung einer landwirtschaftlichen Winterschule (LWS) zu beantragen. Der damalige Vorsitzende des Landwirtschaftlichen Bezirksvereins Herrenberg, Domänepächter Adlung, war einer der Männer, die sich ganz besonders für die Gründung einer LWS eingesetzt hatten. Die ZfdL entsprach dem Antrag und beauftragte Landwirtschaftsinspektor Wilhelm Foss im Sommer 1922, entsprechende Vorbereitungen im Benehmen mit dem Oberamt und der Stadt zu treffen. Rasch wurde beschlossen, für die LWS einen Neubau zu erstellen und das erste Winterhalbjahr durch ein Provisorium im Gasthaus zur Sonne zu überbrücken. Damit ging für die Landwirte aus dem Oberen Gäu ein lang gehegter Wunsch in Erfüllung, mussten sie ihre Söhne fortan nicht mehr in das ferne Reutlingen zur Schule schicken. Die Gründung der Schule in Herrenberg fiel in die dritte Phase an Neugründungen, die in Württemberg zu 31 weiteren Fachschulen im Zeitraum von 1919 bis 1928 führte.


52 Jungbauern hatten sich zum Besuch des ersten Winterhalbjahres 1922/23 entschlossen, worüber große Freude herrschte. Die landwirtschaftliche Winterschule erhielt den Auftrag: „Möge sie durch eifrige Förderung unserer Landwirtschaft beitragen zur Wiedergesundung der Wirtschaftsverhältnisse und zum Wiedererwachen der Treue zur heimatlichen Scholle stets in Gedenken an das Wohl unseres über alles geliebten Vaterlandes“. Weniger schön war aber die rapide wachsende Inflation, die den Neubau zu stoppen drohte. Der landwirtschaftliche Bezirksverein forderte daher, dass jeder Landwirt ein Pfund Weizen zum Baufonds beisteuern solle.

 

 
Neue Räumlichkeiten
So konnten im zweiten Winterhalbjahr 1923/24 insgesamt 51 Schüler in die Unterklasse und 46 Schüler in die Oberklasse ihrer neuen Schule in der Horber Straße einziehen. Dies sei sicher ein Beweis dafür, dass die Bedeutung einer guten landwirtschaftlichen Fachbildung weithin im Bauernstand erkannt wurde, wie Oberamtmann Risch in seiner Ansprache bei der bescheidenen Eröffnungsfeier betonte. Der Unterricht erfolgte nach dem „einklassigen System“. In den Wintermonaten
musste jeweils noch ein zweiter Fachlehrer für die Unterrichtserteilung seitens der ZfdL gestellt werden. Eingangsvoraussetzungen gab es für den Schulbesuch zunächst nicht, die Landwirtssöhne mussten lediglich das 15. Lebensjahr vollendet haben. Im Jahre 1938 entschloss sich der Kreis Herrenberg auf Wunsch zahlreicher Landwirtsfamilien zur Errichtung einer Mädchenklasse (MK). Dies wurde durch den Umbau des Obergeschosses der Schule möglich. Damit wurde
der gesamten bäuerlichen Jugend eine gediegene fachliche Ausbildung ohne allzu hohe Kosten geboten.
 

Zerstörung durch Bombenangriff
In den Kriegsjahren 1941-1945 setzte man Oberlandwirtschaftsrat Dr. Leinigen als Nachfolger von Landesökonomierat
Wilhelm Foss ein. Im Winterhalbjahr 1944/45 musste der Unterricht kriegsbedingt ausfallen. Glücklicherweise forderte der Bombenangriff im März 1945, dem das Gebäude der Landwirtschaftsschule zum Opfer fiel, keine Toten. In den zwei folgenden
Winterhalbjahren musste daher auch die Landwirtschaftsschule anderweitig untergebracht werden und zwar die Burschenklasse in Räumen der Oberschule, die Mädchenklasse in der Bahnhofsgaststätte. Gleichzeitig ging man an die Instandsetzung des
zerstörten Schulgebäudes, sodass Anfang November 1947 wieder das frühere Schulgebäude bezogen werden konnte. Trotz der zeitweise primitiven Unterbringung berichteten die damaligen Schüler, dass man mit diesem Notbehelf gut zurechtgekommen sei. Die Kameradschaft und das Lernen hätten darunter keinesfalls gelitten.

 

Umzug in die Berliner Straße
In den Nachkriegsjahren 1945-1947 leitete Landwirtschaftsrat Hamberger stellvertretend die Schule. Im Herbst 1947 wurde Oberlandwirtschaftsrat Bossler Schulvorstand an der Landwirtschaftsschule Herrenberg. Kurz danach ging es um die Eingliederung des Landwirtschaftsamtes in die Räume der Landwirtschaftsschule. Es zeigte sich immer deutlicher, dass das
wieder instandgesetzte Schulgebäude den Anforderungen an eine moderne Schule nicht mehr entsprach. Ab Mitte der 50er Jahre debattierte man über die Erstellung eines Neubaus, da auch für die landwirtschaftliche Berufsschule und Teile des Landwirtschaftsamtes entsprechende Räume zu erstellen waren.


Im Jahre 1957 wurde Oberregierungslandwirtschaftsrat Kuttruf Leiter des Landwirtschaftsamtes und der Landwirtschaftsschule Herrenberg. Auch er setze sich weiterhin für einen Neubau mit ausreichenden Räumen ein, bis am 11. Januar 1961 der Kreisrat den Neubau einer Landwirtschaftsschule beschloss. Nach sorgfältiger Planung, in Verbindung mit einer Preisausschreibung,
wurde im April 1963 mit den Erdarbeiten begonnen und Ende April 1965 konnten die neuen Räumlichkeiten bezogen werden. Am 15. Oktober 1965 erfolgte die Einweihung des Neubaus. In der Festschrift zum Bezug wird gesagt: Der Neubau „in seiner schlichten Schönheit und wohldurchdachten Zweckmäßigkeit“ ist viel eher in der Lage, „die bäuerliche Jugend auf ihrem
schweren Weg in eine Zukunft voll revolutionärer Umwälzungen zu begleiten.“

 

Schülerschwund
In der Landwirtschaftskrise gegen Ende der 60er Jahre sahen selbst Vertreter des Berufsstandes für einen Großteil der Hofnachfolger keine Zukunftschancen mehr. Die Berufs-, Fach- und Bauernschulen erlebten seinerzeit einen ungeheuren Schülerrückgang, der auch vor den Herrenbergern nicht Halt machte. Bereits drei Jahre nach dem Umzug in die Berliner Straße wurde die Mädchenklasse nicht mehr eröffnet und bei den Burschen konnte nur noch einklassig unterrichtet werden.
Aufgrund der sinkenden Schülerzahlen war auch der Raumbedarf der Landwirtschaftsschule im Neubau kleiner geworden. Vorwürfe der Fehlplanung wurden laut, die jedoch von den Verantwortlichen kategorisch abgelehnt wurden. Dass der Landkreis Böblingen mit zum größten Ballungsraum wurde und die Landwirtschaft zahlenmäßig so sehr ins Hintertreffen geraten würde, wäre während der Planungsphase noch nicht absehbar gewesen. In den verbliebenen Räumen wurde nunmehr vor allem die Erwachsenenfortbildung betrieben. An ihr nahmen laufend mehr Landwirte beziehungsweise deren Ehefrauen teil.

 

Auch in den darauffolgenden Jahren schwankten die Schülerzahlen immer wieder. Sie sind eng verbunden mit dem Strukturwandel in der Landwirtschaft sowie den gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Entwicklungen. Seit 2012 wird in Herrenberg nur noch alle drei Jahre eine neue Klasse eröffnet. 

 

Von den ursprünglich über 30 Landwirtschaftlichen Winterschulen sind heute nur noch neun Schulstandorte übrig. Einjährige Fachschulen für Landbau befinden sich in Biberach an der Riß, Ravensburg, Emmendingen, Donaueschingen, Aalen, Kupferzell, Bruchsal und Herrenberg. Zudem gibt es eine zweijährige Fachschule in Sigmaringen. Im Zuge des Verwaltungsstruktur- Reformgesetzes wurden zum 01.01.2005 die unteren Sonderbehörden, wie zum Beispiel das Landwirtschaftsamt, in die Landratsämter und zum Teil auch in die Stadtkreise eingegliedert. 2013 erfolgte dann der Umzug des Landwirtschaftsamtes von Herrenberg nach Böblingen ans hiesige Landratsamt. Teile des Schulgebäudes werden seither von der Diakonie, einem Jugendforschungszentrum sowie der Zulassungsstelle genutzt. Seit 2018 nutzt zusätzlich die Stabstelle „Bevölkerungsschutz und Feuerwehrwesen“ das Gebäude, sodass der Fachschule heute einige Büroräume und das Klassenzimmer einschließlich eines Sozialraumes für die Schüler zur Verfügung stehen.

 

Die Mitte Baden-Württembergs
Zu Gründungszeiten stammten die Studierenden vornehmlich aus dem Großraum Herrenberg. Im Laufe der Jahre vergrößerte sich das Einzugsgebiet kontinuierlich und erstreckt sich mittlerweile über die Mitte Baden-Württembergs. In der aktuellen Fachschulklasse sind Schüler*innen aus insgesamt neun Landkreisen: Böblingen, Reutlingen, Freudenstadt, Enzkreis, Calw,
Tübingen, Zollernalb, Ludwigsburg und Karlsruhe. Seit ihrer Gründung im Jahr 1922 haben über 2.200 Schülerinnen und Schüler die Landwirtschaftsschule Herrenberg besucht. Die „Winterschule“ in ihrer ursprünglichen Form hat sich dabei kontinuierlich weiterentwickelt und immer wieder neue Akzente gesetzt.

 

 

Unterrichtsinhalte ändern sich
Es war immer das Ziel der landwirtschaftlichen Fachschulen, Wissen zu vermitteln, das zur erfolgreichen Führung eines Betriebes notwendig ist. Dieses Wissen hat sich in den letzten Jahrzehnten wesentlich erweitert. Unterrichtsschwerpunkte bildeten anfangs die Fortbildung in den Volksschulfächern und die Produktionstechnik. Nach Einführung der Berufsschulen 1936
konnte der Unterricht in den Elementarfächern ersetzt werden durch ein Mehr in der Produktionstechnik und Betriebswirtschaft. Interessant ist auch der Hinweis darauf, dass der erste Schulleiter Wilhelm Foss bis 1934 der einzige Diplomlandwirt war, der an der Schule unterrichtete und zwar in den Fächern Acker- und Pflanzenbau, Tierhaltung und Betriebslehre. Für die anderen Fächer wie Deutsch, Rechnen, Geometrie, Zeichnen und Schönschreiben mussten Volksschullehrer und städtische Angestellte gewonnen werden. Diese allgemein bildenden Fächer nahmen fast 75%
der Unterrichtsstunden ein. Um die komplizierten Zusammenhänge in einem landwirtschaftlichen Betrieb und seinen Produktionszweigen verstehen zu können, wurde zum Beispiel das Fach Chemie unterrichtet. Man hielt spezielle chemische Kenntnisse für das Verständnis der Düngung und der Tierernährung für unentbehrlich. Aus pädagogischer Sicht war es damals richtig, vom Allgemeinen zum Speziellen zu kommen. Heute steht die Erfahrungswelt des Studierenden im Mittelpunkt
des Unterrichts, das heißt der eigene landwirtschaftliche Betrieb.


Früher war ein Landwirt umso erfolgreicher, je höher sein Mengenertrag an Feldfrüchten, Fleisch und Milch war. Deshalb lagen die Unterrichtsschwerpunkte in den Fächern Pflanzenbau und Tierhaltung. Auch die so genannte Erzeugungsschlacht der Jahre 1933 – 1945 hatte zum Ziel, so viel wie möglich zu produzieren, um die Selbstversorgung Deutschlands zu erreichen. Während
nach dem zweiten Weltkrieg die vorrangige Aufgabe war, die hungernde Bevölkerung mit Nahrungsmitteln zu versorgen, müssen sich die Landwirte heute vielfältigen gesellschaftlichen Herausforderungen stellen. Die Bereiche Klimaschutz und -anpassung, Biodiversität, Pestizidreduktion, Nachhaltigkeit, regionale Vermarktung, regenerative Energiegewinnung und Tierwohl, aber auch der Strukturwandel, die Spezialisierung und die Digitalisierung in der Landwirtschaft erfordern Anpassungen in der beruflichen Bildung. 

 

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